Donnerstag, 26. Juli 2007

Wie sich eine Sportart selbst zerstörte

2003 fing es an. Ich hatte Mitte Juni mein Abi hinter mich gebracht, mein Zivildienst begann erst im Oktober. Ich hätte mir für die 3½ Monate Arbeit suchen können, aber dazu war ich zu faul. Warum auch? Ich hatte nix zu finanzieren und war noch nie jemand, der sich für teures Geld sinnlose Sachen kaufen musste. Also machte ich das, was ich am besten kann: rumgammeln und meine Freizeit genießen.

Natürlich gab es auch an dieser Sache einen Haken. Irgendwann wurde es langweilig. Da meine Eltern aber wohl gerade in dieser Zeit mit meiner Schwester im Urlaub gewesen sein müssen, konnte ich versuchen, mir die Langeweile zu vertreiben, indem ich es mir im Wohnzimmer vor dem TV gemütlich machte. (Ich besitze übrigens bis heute keinen eigenen Fernseher.) Ich zappte also mehr oder weniger motiviert durch die Gegend und blieb eigentlich nur aus Ermangelung von Alternativen an der Tour de France hängen. Und ab da war ich geflasht.

Ich kann jeden absolut verstehen, der sagt, er stelle es sich sterbenslangweilig vor, anderen Leuten den ganzen Tag beim Radfahren zuzugucken. Ich hab's mir auch immer sterbenslangweilig vorgestellt. Bis ich es dann mit eigenen Augen gesehen habe. Junge, war ich fasziniert! 2003 hab ich dann fast keine Etappe mehr verpasst, selbst als Eltern und Schwester wieder hier waren. Es war aber auch zu spannend! Ich fieberte mit den Ausreißern beim Ausreißen mit, ich fieberte mit dem Peloton beim Einholen mit, ich fieberte mit meinen persönlichen Favoriten (natürlich hauptsächlich Ulle, ein bisschen Nationalstolz muss schließlich sein) beim Kampf um jede Minute mit. 2003 war's aber auch knapp. Meine Herren!

Am Spannendsten fand ich immer die Bergetappen. Wie sich nach und nach die Spreu vom Weizen trennte, wie nach und nach immer mehr Fahrer zurückfielen, wie am Ende nur noch die absoluten Topleute den Sieg unter sich ausmachten und auch nach 5 Stunden Fahrt bei gut und gerne 40 km/h nochmal alles aus sich herausholten, war für mich einfach nur extrem beeindruckend.

Auch 2004 und 2005 war ich bei der Tour mit unvermindertem Enthusiasmus dabei. Wenn's ging per TV, wenn's nicht ging im Internet per Liveticker. Wieder fieberte ich mit, wieder war ich beeindruckt und wieder gewann Lance Armstrong. 2006, als Armstrong dann freiwillig aufhörte und Jan Ullrich und Ivan Basso wegen Dopingverdachts aufgehört wurden, ließ ich die Tour de France mehr oder weniger links liegen. Zu groß war noch die Euphorie der phänomenalen WM, als dass ich mich schon wieder auf ein anderes großes Sportereignis, das zudem noch ohne größere Favoriten auskommen musste, konzentrieren konnte. Und außerdem war da ja auch noch die seltsame Geschichte des Jan U., die mir ein bisschen den Spaß an der Tour raubte. Die eine oder andere Etappe guckte ich mir zwar an (z.B. das letzte Zeitfahren, als Michael Rasmussen sich 12x auf die Fresse legte), aber das war dann doch eher die Ausnahme.

Dieses Jahr verfolge ich die Tour wieder mit großem Interesse, allerdings ohne die liebgewonnene Faszination, sondern eher mit Fassungslosigkeit und Abscheu. Dass ein ganzer Sport so unglaublich verseucht sein kann, hätte ich niemals für möglich gehalten! Ich bin ja eher jemand, der an das Gute im Menschen glaubt, aber in den letzten Tagen hat dieser Glaube zumindest bei den Radrennfahren sehr stark gelitten. Dabei geht es eigentlich nichtmal um das Doping an sich, sondern viel mehr um diese unglaubliche Dreistigkeit, mit der es offensichtlich betrieben wird. Es widert mich regelrecht an, dass ein Alexander Winokurow (der mich übrigens in den letzten Jahren auch immer fasziniert hat) nicht die Eier hat, seine Scheiße einzugestehen, sondern sich stattdessen haarsträubende Erklärungen und Verschwörungstheorien zusammenbastelt. Oder dass ein Jan Ullrich immer noch einen auf Unschuldslamm tut und damit sogar offene Türen einrennt. Oder dass ein Michael Rasmussen, über den so viel skurriles Zeug ans Licht kommt und der dieses Jahr sowas von unnormal dominant ist, jetzt weinen muss, weil er plötzlich nicht mehr mitfahren darf. Oder oder oder. Tut mir leid Leute, aber ihr seid einfach nur noch peinlich!

Es ist traurig, zu realisieren, wie eine interessante Sportart sich durch Geldgier und Geltungssucht selbst ein Grab geschaufelt hat und wie treue Fans und Sportler, die diesen Namen noch verdienen und die ihren Beruf ausüben, weil er ihnen Spaß macht und nicht, weil sie um jeden Preis die Besten sein wollen, systematisch verarscht worden sind. Man kann nur hoffen, dass durch die Tour Apotheken-Rundschau 2007 ein kollektives Umdenken im Radsport einsetzt. Selbst wenn es hinterher darauf hinausläuft, dass jeder, der bei welchem Radrennen auch immer starten möchte, einen eindeutigen Nachweis bringen muss, dass er clean ist. Ein Generalverdacht ist nie toll, aber der Rad"sport" hat sich seinen spätestens jetzt hart erarbeitet. Traurig, traurig...

Gerade läuft: Muse - Muscle Museum (Album: Showbiz)

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